SLASH

Heath Bunting: Lost in Cyberspace Von ihm stammt die Idee und der Begriff "Cyber-Caf", dieses Jahr nimmt er an Top-Kunstmesse "Dokumenta" teil, er wird mittlerweile in alle Welt eingeladen - der Londoner Internet-Knstler Heath Bunting ist zu einer reisenden Eminenz des Cyberspace geworden. slash wollte den Vielgereisten in London portraitieren. Hier der Bericht eines schwierigen Treffens. Oder war es bloss virtuell? Luzern Kennengelernt habe ich Heath an der Viper, dem Luzerner Video- und Multimedia-Festival. Heath, der gerade von Osteuropa ber Luzern nach Bristol reiste, versprach damals in seinem trockenen Londoner Englisch, ich stnde von nun unter seiner Kontrolle. Denn: "Medien mssen kontrolliert werden, sonst kontrolllieren sie uns." Das Resultat: Von nun an bekam die Redaktion alle paar Wochen eine E-Mail. Mal aus London, Heaths Geburtsstadt, meist aber von irgendwo: Ljubliana, Moskau, Amsterdam oder Bristol - wo immer sich Heath gerade befand. Ich erfuhr von Heaths neustem Projekt, deren Opfer Pstler und Ladenbesitzer sind: Heath verschickt an Shops, die an den Eingngen ber ein Warnsystem verfgen, Pakete. Inhalt: eine magnetisch aufgeladene Visitenkarte. So wrde nicht ein Dieb, der Waren hinaustrgt, sondern der zuliefernde Pstler den Alarm auslsen. Eine Form des Hackings, denn darauf ist Heath spezialisiert: Mit seinem Mailbox-System "Cyber Caf", die des lngeren als DIE Londoner Adresse fr Hacker galt, hatte sich Heath in seiner Geburtsstadt einen Namen gemacht. Heath interessiert sich fr Kommunikation. Dieses Jahr hatte sich Heath eine neue Form der Vernetzung ausgedacht: "Real-Body"-Konferenzen bei "Backspace", einer Art Internet-Caf in London. Ein solches Treffen schien mir eine gute Gelegenheit, den Londonder Heath "zuhause" aufzuspren und gleichzeitig "Backspace" kennenzulernen, dessen Homepage auf ein reges, aber schwer definierbares Leben schliessen liess. Das Setting unseres Treffens war einfach: Ich wrde in London ankommen, mich zu "Backspace" begeben und dort wrde ich Heath antreffen, oder man wrde mir mit Unterkunft und mit Infos ber Heath weiterhelfen. Heath lebt seit lngerem ohne festes Domizil. London Heath sei noch in Finnland, und Backspace sei heute offiziell geschlossen, erfuhr ich im verwaisten Raum von Backspace, dessen schummriges Dunkel nur von einem der vielen Bildschirme aufgehellt wurde. Ich solle morgen wiederkommen. Auch gut, ich tankte also einen Tag Grosstadt. Am nchsten Abend rief ich bei Backspace an und entgegen dumpfen Zweifeln hatte ich eine Sekunde spter Heath am Apparat, zwei Stunden spter standen wir uns schon an der zentralen Londoner U-Bahn-Station Charing Cross gegenber. Es war Rushhour, und ich erinnerte mich an Heath's Husarenstck, mit dem er in London stadtbekannt geworden war. 5. August 1994, ebenfalls Rushhour am zentralen Bahnhof Kings Cross, business as usual aber dann: Pnktlich um sechs Uhr liefen 18 ffentliche Telefonapparate des Bahnhofs heiss. Heath hatte auf seiner Mailing-Liste die Telefonnummern bekanntgegeben und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hflich gebeten, an diesem Tag, am liebsten zur Rushhour anzurufen. Die zentrale Schleuse fr die Londoner Geschftswelt verwandelte sich in einen magischen Treffpunkt: von Anrufern aus aller Welt, von Eingeweihten, die sich zu diesem Zeitpunkt einfanden, und von Passanten, die sich von den klingelnden Apparate angesprochen fhlten. Ich war Heath zuvor nur zweimal in der Schweiz begegnet. Jetzt erst, in London, fiel mir auf, dass Heath selbst im eigenen Land ein Fremdling ist. Der Pub in der Nhe von Charing Cross war voller Leute im Zweiteiler oder Anzug, alle mit einem Bierglas in der Hand; Heath bestellte einen Orangensaft und stellte sich mit seinen alten Turnschuhen und dem zerbeulten Kapuzentrainer gleichmtig an die Bar. Wir sprachen bers Wetter, bers Reisen, ber finnische Kreuzfahrten. Und ich fand heraus, dass Heath aus dem Norden Londons, einem ruhigen Arbeiterviertel mit viel Grn, stamme und dass er London mge, die Leute hier htten Vertrauen in die Zukunft, that's nice. Beilufig fragte er mich, was ich in den nchsten Tagen fr Plne htte. Dass wir zwei uns mindestens einmal treffen und intensiv miteinander diskutieren wrden, schien mir so selbstverstndlich, dass ich das nicht einmal ausdrcklich erwhnte. Das war ein Fehler. Ich sah Heath zwar bei Backspace nochmals. Das von ihm organisierte Treffen war ein voller Erfolg. Die Diskussionen der rund 50 Leute, viele aus London, andere aus Deutschland, Holland, der Schweiz, gingen bis tief in die Nacht, die Themen reichten von Piratenradios bis neuster Internet-Software. Aber Heath war pltzlich verschwunden, niemand wusste zu sagen wohin, aber no problem, wir hatten ja noch so viel Zeit! Und richtig, als ich am nchsten Nachmittag wieder zu Backspace zurckkehrte, sass Heath auch in der Sofaecke, durch das Fenster hinter ihm blinkten Themse und Finanzzentrum herein, Heath war wie so oft schweigsam und beobachtete. Hier verpasste ich meine letzte Chance. Anstatt den sitzenden Heath sogleich fr ein Interview dingfest zu machen, verliess ich fr ein paar Minuten den Raum. Als wollte er mir noch eine allerletzte Chance geben, rief er mir nach: "Hey, and me? I'm hungry!" Ich warf ihm das Brot, an dem ich gerade kaute, zu. Als ich zurckkehrte, fand ich die berreste feinsuberlich auf einem Teller wieder, aber Heath war weg. Definitiv. Aber das wusste ich an diesem Nachmittag noch nicht, sondern liess mich beruhigen, Heath kme sicher gleich wieder. Backspace ist in erster Linie ein Treffpunkt, an dem rund um das Netz experimentiert wird. Wer eine Homepage aufbauen will, findet hier viele versierte Bastlerinnen und Bastler, aber vor allem soll Backspace auch Raum fr Experimente bieten. Da ist zum Beispiel Rachel, die seit einem halben Jahr bei Backspace ein und aus geht. Sie hat sich einen Stapel Anmeldeformulare von Tesco, einer der globalen Supermarkt-Ketten besorgt, und sammelt nun auf eigene Faust Mitglieder - natrlich nicht fr Tesco, sondern fr die eigene Datenbank. Sobald die Sammlung gengend gross ist, will sie damit experimentieren, zum Beispiel Mails mit vertauschten Namen der Mitglieder versenden. Ihr Ziel: Die Leute sollen anhand dieser "knstlichen" Datenbank merken, dass sie durch Angabe ihrer Adresse mit den unterschiedlichsten Menschen Gemeinschaften bilden, von denen sie nichts wissen, die aber wichtig werden knnten. Oder da wre Mark Hayward zu nennen, bildender Knstler, der eine Art digitaler Flaschenpost aufgebaut hat und daneben am liebsten mit Papier experimentiert. Oder Lotta, die mit einer Modeseite fr "Schizophrenics" wirbt. Und Valerio, Rob und Millie: Backspace hat heute rund 50 Mitglieder und fr die meisten gilt: jung, voller Plne und geplndertem Konto. Backspace liegt zwischen der altertmlichen Clink Street und der Themse und entspricht in nichts einer rtlichkeit, an der man einen Betrieb voller chaotischer Habenichtse erwarten wrde. Die Gegend, fnf Minuten von der zentralen London Bridge entfernt, ist von Touristen bevlkert, denn gleich Backspace gegenber befindet sich das Londoner "Prison-Museum", ein touristisches Muss. Und gleich gegenber, auf der anderen Seite der Themse, trmen sich die Hochhausriesen der City of London, einem der grssten Finanzmrkte berhaupt. Das ist besonders kurios, denn was immer Backspace ist, das grosse Geld macht hier keine(r). Aber was ein richtiges britisches Rtsel ist, fr das gibt es auch eine Erklrung. In diesem Falle ist sie nicht grauslig, sondern ein Phnomen, wie nur der Internet-Boom es mglich machte. Das mit Macs bestens bestckte "Backspace" ist mglich, weil es sich um eine Dependance der Firma "Obsolete" handelt. Und dass sich Obsolete Backspace leistet, hngt damit zusammen, dass im Cyberspace die Grenzen zwischen Profit- und Non-Profit-Organisationen fliessender sind als anderswo. Auch Obsolete war zu Beginn nicht mehr als eine Ansammlung von Kunstschaffenden und Computerfreaks. Bis Levi's Obsolete engagierte und sich Obsolete Levi's verschrieb: Obsolete schrieb die Internet-Werbung fr den Multikonzern und verhalf diesem zu einer frmlichen Kult-Site. Pltzlich hatte Obsolete Geld zuhauf - Geld, ohne das Backspace nicht existieren knnte. "Aber so anarchisch wie bisher geht es entschieden nicht weiter", erklrte mir David Jones auf einem Rundgang durch die Rumlichkeiten von Obsolete. Jones, der gerade an einer neuen Internet-Werbung fr Levi's arbeitet, ist berzeugt: "Backspace braucht eine ganz neue Organisation." Wie schon eingestanden, ich sollte Heath nicht mehr wiedersehen. Zwar berbrachte mir eine Freundin an meinem vorletzten Abend in London die freundliche Nachricht, Heath sei in Bristol und ich sei herzlich eingeladen, mit dem Nachtzug nach Bristol zu fahren, um ihn dort zu interviewen. Aber ich musste passen, meine Mobilitt hat sich noch nicht in dem Mass derjenigen von Bytes angeglichen wie diejenige von Heath. Lausanne Ein Nachspiel: Eigentlich war es eine absurde Idee, zu Heath zu reisen. Denn es ist Heath, der zu den Menschen kommt. So erreichte mich schon zwei Wochen nach meinem London-Trip eine neue Mail, diesmal aus Lausanne, wo gerade "Younet", ein Internet-Treffpunkt fr Jugendliche, erffnet wurde. Heath war eingeladen, als Londoner Netzhacker von seinen Projekten zu berichten. Ein richtiges Interview wurde es auch diesmal nicht, denn als ich bei Younet ankam, demonstrierten gerade Lausanner Studierende gegen Budgetkrzungen und Heath ging daran, mich auf Videotapes und Funksprech-Anlagen der umherstehenden Polizei aufmerksam zu machen. Und bewirte mich mit Bananen. Zumindest erfuhr ich noch, dass Heath's Vater Richter und Lastwagenfahrer zugleich sei ("the only in town") und Heath mit 17 aus dem Haus geworfen habe. Heute sei er aber stolz auf seinen Sohn, fgte Heath hinzu. Ob er dem Non-Profit-Ort "Backspace" eine berlebenschance gebe? Natrlich, entgegnete Heath, es bestnden schon Plne, Backspace in den Greenwich-Tower zu versetzen und eine Art Gegenveranstaltung zur Jahrtausendfeier aufzuziehen. Und wenn nicht: "Dann schliessen wir Backspace eben, auch das wre eine gute Idee". Internet-Underground und brutales Tory-Management in einem Geist vereint? Heath schob mir noch eine Banane rber. Und irgendwann wird ja wohl auch wieder einmal eine Mail kommen. Villo Huszai